Jahrestagung 2007 des Fraunhofer IVV

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Posted in: , on 22. Jul. 2007 - 21:49

Jahrestagung 2007 des Fraunhofer IVV

Lebensmittelverpackungen und EU-Gesetzgebung

Die Jahrestagung 2007 des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV informierte am 19./20. Juni ausführlich über Lebensmittelverpackungen und den aus der EU-Gesetzgebung resultierenden Konsequenzen für Wirtschaft und Verbraucher.

Prof. Dr. Horst-Christian Langowski, Leiter des Fraunhofer IVV, (siehe Photo), freute sich bei der Begrüßung der 95 Teilnehmer über den großen Zuspruch für diese komplexe Thematik, die am Institut bereits seit 30 Jahren bearbeitet wird. Das Fraunhofer IVV unterstützt mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten maßgeblich die Gesetzgebung auf nationaler und auf EU-Ebene und bietet Dienstleistungen und Problemlösungen für die Industrie. Auf die in der EU-Gesetzgebung vorhandenen Lücken und Grauzonen sind Dr. Diana Kemmer und Dr. Angela Störmer vom Fraunhofer IVV gleich zu Beginn der Tagung eingegangen.

Mit dem europäischen Binnenmarkt ist die Harmonisierung der Gesetzgebung in den EU-Mitgliedsstaaten auch auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts und der Regelungen zu Lebensmittelkontaktmaterialien bzw. –verpackungen verbunden. Ziel der Harmonisierung der Gesetzgebung ist es, den freien Warenverkehr zu ermöglichen und gleichzeitig den gesundheitlichen Verbraucherschutz zu gewährleisten ist.

In der Europäischen Union sind die allgemeinen Prinzipien und Anforderungen für alle Lebensmittelkontaktmaterialien (z. B. Kunststoffe, Gummi, Papier, Keramik, Metall, ...) in der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen („EU-Rahmenverordnung 1935/2004“) formuliert.

So fordert Artikel 3 der Rahmenverordnung, dass Materialien und Gegenstände im Lebensmittelkontakt die menschliche Gesundheit nicht gefährden dürfen, zu keiner unvertretbaren Veränderung der Zusammensetzung der Lebensmittel führen dürfen und keine Beeinträchtigung der organoleptischen Eigenschaften herbeiführen dürfen.

Darüber hinaus finden sich in der Rahmenverordnung 1935/2004 grundlegende Prinzipien wie Täuschungsschutz, Rückverfolgbarkeit, Konformitätserklärungen sowie Vorschriften zur Kennzeichnung und besondere Anforderungen an aktive und intelligente Materialien. Basierend auf der europäischen Rahmenverordnung 1935/2004 können weitere spezifische Vorschriften, sogenannte Einzelmaßnahmen, erlassen werden, um z. B. zulässige Stoffe, Herstellung, Anwendungsbedingungen bzw. -einschränkungen, Migrationsgrenzwerte, Reinheitskritierien und Kennzeichnung von Lebensmittelkontaktmaterialien genauer zu regeln.

Materialspezifische Regelungen bestehen auf europäischer Ebene für Kunststoffe (Richtlinie 2002/72/EG, zuletzt geändert durch RL 2007/19/EG), Keramik (RL 84/500/EWG, RL 2005/31/EG) und regenerierte Cellulose (RL 93/10/EWG, RL 2004/14/EG). Stoffspezifische Regelungen existieren für Vinylchlorid (RL 78/142/EWG, RL 80/766/EWG, RL 81/432/EWG), für Nitrosamine (RL 93/11/EWG), für Epoxyderivate (Verordnung (EG) Nr. 1895/2005) und für Weichmacher in Deckeldichtungen (Verordnung (EG) Nr. 372/2007).

Darüber hinaus sind allgemeine Grundsätze zur guten Herstellungspraxis von Materialien im Lebensmittelkontakt (Verordnung (EG) Nr. 2023/2006 sowie die Grundregeln der Migration (RL 82/711/EWG, RL 93/8/EWG, RL 97/48/EG) und die anzuwendenden Prüfsimulantien (RL 85/572/EWG) auf europäischer Ebene einheitlich geregelt.

Für bisher auf europäischer Ebene nicht-harmonisierte Materialien und Gegenstände (wie z. B. Gummi, Papier und Karton, Holz, Silicone, ... ) gelten, soweit vorhanden, weiterhin die nationalen Regelungen der jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten.

Kunststoffmonomere und Additive sind in der EU detailliert und spezifisch geregelt. Doch in vielen Bereichen gibt es bisher weder eine harmonisierte europäische Regelung noch nationale spezifische Regelungen. Einerseits bedeutet dies für den Hersteller einer solchen nicht geregelten Verpackungskomponente eine Chance zur schnelleren Umsetzung von Innovationen, da Zulassungsverfahren nicht existieren, andererseits aber eine wesentlich größere Verantwortung, die viele überfordert. Die Anforderung in Artikel 3 der EU-Rahmenverordnung 1935/2004 sieht vor, dass keine Stoffe aus dem Lebensmittelbedarfsgegenstand auf das Lebensmittel übergehen in Mengen, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu gefährden. Ohne behördliche Vorgabe liegt die Sicherstellung dieser Anforderung allein in der Industriekette vom Hersteller dieser Komponente bzw. auch seinen Roh- und Hilfsstofflieferanten zum Verpackungshersteller und Abpacker bzw. In-Verkehr-Bringer.

Mit der Einführung des Funktionelle-Barriere-Prinzips in der 4. Änderung der Kunststoffrichtlinie (EU-Richtlinie 2007/19/EG) ist eine offizielle Nachweisgrenze für die Migration von 10 ppb im Lebensmittel festgelegt, unterhalb derer auch nicht zugelassene Stoffe in Kunststoffschichten außer der Kontaktschicht verwendet werden dürfen. Für Druckfarben geben die Europaratresolution AP 2005 (2) und der Leitfaden der europäischen Druckfarbenindustrie (EUPIA, 2005) ebenso eine Grenze von 10 ppb.

Das ist einerseits ein großer Schritt vorwärts, um Migrationen von Stoffen, für die es keine offizielle Bewertungsgrundlage gibt und häufig überhaupt kaum Daten zur Toxikologie, im Bezug auf Artikel 3 der EU-Verordnung 1935/2004 einschätzen und bewerten zu können. Andererseits ist es in vielen Fällen sowohl für den Hersteller als auch für den Analytiker eine große Herausforderung, die Migration nicht geregelter Substanzen so gering zu halten bzw. diese Nachweisgrenze analytisch erreichen zu können. Prüfbedingungen zur Migrationsprüfung von Mehrschichtmaterialien und funktionellen Barrieren sind allerdings bisher nicht festgelegt.

Gerade bei den zur Zeit weder europäisch noch national geregelten Verpackungskomponenten wie z. B. Außenbedruckungen oder Klebstoffe werden die Komponenten aus einem Pool von so vielen (tausenden) möglichen Substanzen gewählt, dass eine behördliche Zulassung aller Einzelkomponenten in einem vernünftigen Zeit- und Kostenrahmen nicht möglich ist. Alternative Ansätze sind hier sinnvoll und nötig. Mit dem im Fraunhofer IVV initierten EU-Projekt MIGRESIVES (www.migresives.eu) soll ein solcher alternativer Ansatz für Klebstoffe geschaffen werden. Mit Hilfe von analytischen Werkzeugen und Migrationsabschätzung durch Modellierung sollen die Substanzen aus der Formulierung, die migrieren und dann auch (toxikologisch) bewertet werden müssen, von den Substanzen unterschieden werden, die nicht migrieren und daher nicht weiter bewertet werden müssen. Projektkoordinator ist Dr. Roland Franz, Leiter der Abteilung Produktsicherheit und Analytik am Fraunhofer IVV und Moderator des ersten Tages der Veranstaltung.

Extrem wichtig, aber in der Realität schwierig, sind eine engere Zusammenarbeit und ein funktionierender Informationsfluss in der Lieferkette von den Roh- und Hilfsstoffherstellern über die Hersteller einzelner Komponenten zum Verpackungshersteller und zum Abpacker und zurück, um die Konformität der fertigen Verpackung für die Endanwendung zu gewährleisten.

Weitere Grauzonen entstehen durch unklare Definitionen. Polymere Additive für Kunststoffe müssen eigens zugelassen werden, da sie in der Regel kürzerkettig sind und höhere Anteile an Molekülen unter 1000 g/mol haben, die vom menschlichen Körper aufgenommen werden können. Die Abgrenzung zum Kunststoff ist so definiert, dass sie kein selbsttragendes Polymergerüst aufbauen können. Neue Kunststoffe hingegen, die aus Monomeren in der Positivliste aufgebaut sind, benötigen keine Zulassung. Die Entscheidung, ob in einem konkreten Fall ein polymeres Additiv im Kunststoff die gewünschten Eigenschaften liefert oder das Material als Blend zweier Kunststoffe anzusehen ist, ist im Bereich mittelgroßer Molekulargewichte häufig schwierig.

Lücken und Grauzonen in der Gesetzgebung bedeuten eine höhere Verantwortung der Industrie zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes (= Konformität mit Art. 3 EU-VO 1935/2004). Um der Verantwortung gerecht werden zu können, braucht die Industrie (und die Prüflabors) Leitlinien und Verfahren, um die Migrationen aus nicht spezifisch geregelten Schichten oder Materialien prüfen und bewerten zu können und Konformitäten bescheinigen zu können. Das Fraunhofer IVV arbeitet sowohl allein als auch zusammen mit anderen europäischen Forschungsstellen an einem immer besseren Verständnis der Wechselwirkungsvorgänge zwischen Verpackung und Lebensmittel, um der Industrie und den Prüflabors handhabbare und ökonomische Werkzeuge zur Konformitätsprüfung Verfügung stellen zu können.

Die Thematik wurde vertieft durch weitere Vorträge aus dem Fraunhofer IVV und durch die Sichtweise der Industrie, die von Dr. Andr Mandanis vom Nestl Research Center Lausanne und Dr. Jürgen Bruder von der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen in Bad Homburg dargestellt wurde. Einen juristischen Blick auf die Thematik warf Dr. Anna Gergely von der Rechtsanwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw aus Brüssel. Dr. Dimitrios Spyropoulos erklärte die Rolle der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) mit Sitz in Parma, Italien. Die Sichtweise der Verbraucher beleuchtete Dr. Catherine Simoneau vom Joined Research Centre in Ispra, Italien, der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission.

Wie EU-Forschungsprojekte erfolgreich den Weg zu besseren und ökonomischeren Prüf- und Bewertungskonzepten ebenen wurde im Vortrag von Dr. Roland Franz vom Fraunhofer IVV deutlich. Seit nahezu 20 Jahren ist das Fraunhofer IVV an der Mitgestaltung des europäischen Harmonisierungsprozesses im Bereich der lebensmittelrechtlichen Prüfung und Bewertung von Bedarfsgegenständen aktiv und wegweisend beteiligt. Dabei haben zahlreiche Forschungsprojekte im Rahmen der bisherigen Europäischen Forschungsprogramme immer eine besondere Rolle gespielt. Das Fraunhofer IVV hat diese EU-Projekte maßgeblich mitgestaltet oder initiiert und koordiniert.

Die Motivation für diese Projekte lag in den seit Jahren offensichtlich gewordenen Verbesserungs- und Kosteneinsparungspotentialen bei der Migrationsprüfung und -bewertung. Eine der ersten und sehr wirkungsvollen Verbesserungen wurde schon vor Jahren mit der sogenannten ‚Schnellextraktion’ zur Bestimmung des Gesamtmigrationspotentials in Europa mit der heute bekannten CEN Norm EN 1186-Teil 15 umgesetzt.

Für die Bewältigung der anstehenden Problemlösungen ist es dem Fraunhofer IVV gelungen, in allen EU-Rahmenprogrammen relevante Forschungsprojekte zu platzieren bzw. daran mitzuwirken. Inzwischen hat die EU-Kommission das 7. Europäische Forschungsrahmenprogramm mit einer 7-jährigen Laufzeit eröffnet. Das Fraunhofer IVV wird auch in diesem Rahmenprogramm an wichtigen Projekten teilnehmen und den eingeschlagenen Weg weiterhin konsequent fort- und umsetzen.

Am zweiten Tag der Veranstaltung wurden von Fraunhofer-Mitarbeitern neue Entwicklungen und Verfahren für Lebensmittelverpackungen vorgestellt, wie beispielsweise flexible Hochbarriereverbunde ohne Komponenten mit Risikopotenzial, aktive Funktionen in Wellpappe sowie Scavenger und Feuchteabsorber. Klaus Porepp, Amcor Flexibles Hochheim GmbH, präsentierte Schutzgasverpackungen für Obst und Gemüse. Dr. Rainer Brandsch von der FABES Forschungs-GmbH erklärte die Migrationsmodellierung in Lebensmitteln zur Konformitätsbewertung und Expositionsabschätzung. Im Abschlussvortrag zeigte Dr. Frank Welle vom Fraunhofer IVV wie mit einem auf die Eingangsmaterialien angepassten Recyclingkonzept und einem entsprechenden Qualitätssicherungskonzept auch „post-consumer“-Materialien wieder für den Lebensmitteldirektkontakt eingesetzt werden können.

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